In Basel ist es inzwischen ein offenes Geheimnis, dass das Münster in seiner Längsachse zum Sonnenaufgang am 21. Juni orientiert ist. Jeweils an Mittsommer geht die Sonne im Nordosten über der Kleinbasler Theodorskirche auf und trifft mit den ersten Sonnenstrahlen den Münster-Felshügel. Durch ein Fenster gelangen dann die Strahlen in die Krypta des Bauwerkes und erhellen glanzvoll den gesamten Raum. Dieses astronomische Phänomen erleben immer mehr Menschen, und das morgendliche Ereignis wird folgendermassen beschrieben:
„Sonnenaufgang in der Münsterkrypta – Immer mehr Menschen finden sich Jahr für Jahr zum Sonnenaufgang an einem Morgen um den 21. Juni auf der Pfalz, der Aussichtsterrasse beim Basler Münster, ein. Falls das Wetter klar ist, kann man hier zur Sommersonnenwende ein eindrückliches Schauspiel erleben, das später mit einer kleinen Andacht zum Johannistag in der Münsterkrypta gefeiert wird. Kurz nach halb sechs Uhr schiebt sich die hellrote Kugel über die Hügelkette der Hohen Möhr im Schwarzwald. In einer Linie über die St. Martinskirche in Riehen und die St. Theodorskirche in Kleinbasel hinweg trifft ihr erster Lichtstrahl die Kastanienbäume auf der Pfalz und fällt, gebrochen vom Blätterwerk, durch das zentrale Chorfenster ins Münster ein. Er scheint in die Krypta, die ursprüngliche Grablege der Basler Bischöfe, und wirft einen hellen Lichtfleck an die gegenüberliegende Wand – ein beeindruckendes Phänomen, dem freilich kein Zufall zugrunde liegt, wurden doch Kirchen und Kapellen oft an prähistorischen oder antiken Stätten angelegt und orientierten sich nach dem Sonnenaufgang an einem der kalendarischen Richttage. Das Basler Münster ist an der Stelle des ehemaligen keltischen Oppidums erbaut worden.“ (https://www.outdooractive.com/de/poi/basel-und-umgebung/muensterkrypta/25015585/)
Die astronomische Mittsommer-Linie verbindet somit den linksrheinischen Felsenhügel mit dem rechtsrheinischen Theodorskirchplatz. Zwischen diesen beiden Orten fliesst der Fluss, der in diesen zentralen Raum seine Lebenskraft einströmen lässt, und die – wie wir gesehen haben – als Drache oder Drachenschlange verkörpert wird. Die topographische „Mitte der Welt“, die im Felsenhügel verdeutlich ist, geht dabei auch mit der sommerlichen „Mitte der Jahreszeit“ einher. Diese Festzeit an Mittsommer wird in Europa seit Jahrtausenden gefeiert, was an verschiedenen Steinkultstätten beobachtet werden kann.[2] Der Felsenhügel, das Flusswasser und der Theodorskirchplatz bilden dabei einen verortbaren Umkreis und eine feste, landschaftliche Einheit – sowohl geographisch als auch astronomisch.
Wie wir gesehen haben, wird diese Verbindung vor allem anhand der Sommersonnenwende gesehen. Wer aber den Punkt des Sonnenaufgangs am 21. Juni am Horizont kennt, kann astronomisch betrachtet auch die sogenannten Mondwenden davon ableiten. Je nach Breitengrad und geographischer Situation sind die Grade (Azimutwerte) dabei unterschiedlich. Es ging einst auch nicht darum, ein exaktes Planetarium zu erstellen, sondern den Menschen der Frühgeschichte genügte es, einen einigermassen brauchbaren, jahreszeitlich-agrarischen und rituellen „Kalender“ zu haben, der in der Astronomie als Horizontkalender bekannt ist. So kann für unsere Breitengrade – und somit auch vom Münsterplatz aus – der Sonnenaufgang an Mittsommer etwa bei 53°/54° Nordost am Horizont beobachtet werden. Dies entspricht wie dargestellt ungefähr der Achse Münster-Theodorskirchplatz. Durch Beobachtungen weiss man nun, dass die sogenannten Grossen und Kleinen Mondwenden je nach Lage/Topographie etwa 7-9 Grad davon abweichen. In Basel können wir mit ca. 45° Nordost für die Grosse und mit ca. 61° Nordost für die Kleine Mondwende am Horizont rechnen. Dieses Ereignis geschieht allerdings nur alle 9,3 Jahre, was natürlich eine viel längere Periode darstellt als die Sonnenwenden.
Es ist nun ein interessanter Zufall, dass vom Münsterhügel aus die Sichtlinie der Grossen Mondwende mit 45° NO zum Mondaufgang am Horizont über die Kartausgasse führt – dort, wo in etwa das Basler Mondhorn entdeckt wurde. Sollte die Fundzone „Kartausgasse“ weiterhin gesichert sein, wäre dies für das astronomische Verständnis von Basel ein spannender topographischer Zusammenhang, dem man weiter nachgehen sollte.
Oben: Sonnenaufgang vom Basler Münster Richtung Theodorskirchplatz sowie Sichtlinie der Grossen Mondwende Richtung Kartausgasse (Fundort Mondhorn).
Unten: Skizze Sonnenaufgang am 21. Juni sowie Nördliche Grosse Mondwende.